Dass die Campesinos das Brachgelände binnen kurzer Zeit in ein Sammelsurium exotischer Nutzpflanzen verwandelt haben, hat sich auch im Viertel herumgesprochen. Jedes Wochenende kommen hunderte von Nachbarn, um durch die grünen Gärten zu schlendern. Gemüse, Obst und Kräuter werden verkauft, getauscht und verschenkt. Besonders beliebt sind traditionelle Heilpflanzen. Die naturheilkundliche Beratung gibt es umsonst dazu.
Samen geschmuggelt
Don Gonzales war auf dem Gelände an der 41. Straße von Anfang an dabei. Der schlaksige Mann ist ungefähr 50 Jahre alt. Seit zwölf Jahren bewirtschaftet er hier ein Stück Land. Nachts arbeitet er in einer Druckerei, den Tag verbringt er meist in seinem Garten. Wo die Campesinos denn die Pflanzen her hätten? "Na, die bringen wir von zu Hause mit." Wird man bei der Einreise, selbst wenn sie legal ist, mit all den Samen, Gemüse und Früchten überhaupt in die USA gelassen? Don Gonzales schüttelt den Kopf. "Offiziell ist das natürlich streng verboten. Die Leute schmuggeln die Samen ins Land, um sie dann hier anzupflanzen." Resigniert guckt er zu Boden: "Ya nos vamos - jetzt gehen wir", sagt Don Gonzales noch.
Kampflos geben die Campesinos ihr Land allerdings nicht her. Nur ist der politische Widerstand für illegalisierte Migranten eben nicht ganz ohne Gefahr. Und deswegen hängt man das auch nicht an die große Glocke. Pedro Barrera rückt jedenfalls erst auf Nachfrage damit heraus, dass die Campesinos bereits seit mehreren Wochen ein handfestes Bündnis mit den politischen Gruppen aus South Central schmieden. Das ist insofern überraschend, als dieser Stadtteil als Wiege der radikalen Schwarzenbewegung in Los Angeles gilt, deren politischer Anspruch zwar durchaus von Klassenbewusstsein geprägt war, sich gleichwohl aber auf afroamerikanische Identitätspolitik beschränkte. Drei Jahrzehnte nach den Black Panthern, die vor allem politische und soziale Basisarbeit in den schwarzen Elendsvierteln leisteten, macht eine New-Black-Panther-Bewegung ohne soziale Basis von sich Reden, die sich weniger durch politische Praxis in den Stadtvierteln als vor allem durch schwarz-nationalistischen Verbalradikalismus auszeichnet. Mit einer solchen Politik wollen auch viele der alten Black-Panther-Aktivisten nichts zu tun haben.
Was das Verhältnis von Schwarzen und Latinos in South Central angeht, kann die Zunahme von Konkurrenz- und Verdrängungskonflikten im Viertel eigentlich kaum verwundern. Geradezu zynisch klingt es, wenn Mike Davis auf den ökonomischen Vorteil der illegalen Lateinamerikaner hinweist, mit dem diese im Wettbewerb gegen die einheimischen Niedriglohnbeschäftigten antreten. Das behauptete ,Privileg der braunen Haut', das die eingewanderten Latino-Arbeiter in der Sweatshop-Ökonomie angeblich besitzen, besteht darin, dass sie sich schlechter gegen Zwang und Überausbeutung wehren können, so der Stadtsoziologe in seiner L.A.-Studie City of Quartz.
Die Versammlungen der Campesinos werden freilich seit einigen Wochen regelmäßig von Vertretern schwarzer Stadtteilgruppen besucht. Royalyn Starks ist eine von ihnen. Die Journalistin arbeitet für die afroamerikanische Zeitung
Wave. Wenn sich im Seminarraum der öffentlichen Bibliothek von South Central die ersten Latinos einfinden, setzt sich Royalyn Starks nebenan zunächst mit drei alten Polit-Aktivisten zusammen. Gemeinsam stimmen sie ihr Vorgehen ab, um sich dann zu den anderen zu begeben.
Für den Ernstfall vorgesorgt
Die verschiedenen Interessen der einzelnen Gruppen zeichnen sich deutlich ab: Den schwarzen Stadtteilgruppen ist klar, dass die Lateinamerikaner es mit ihrem Stück Land ernst meinen und mit ihren Protesten viel zu einer Repolitisierung des Stadtviertels beitragen könnten. Die Campesinos dagegen suchen Rückhalt und Unterstützung im Viertel. Und sie suchen Verbündete, die sich nicht bei jeder öffentlichen Aktion vor der Frage nach der Aufenthaltserlaubnis fürchten müssen. Alle gemeinsam haben sie es satt, sich entlang vermeintlich ethnischer Grenzen gegenseitig das Viertel streitig zu machen. So weit zumindest die Theorie.
Wenn es in der Mittagssonne in den Gärten an der 41. Straße zu heiß wird, hält Pedro Barrera Siesta unterm großen Strohdach im Gemeinschaftsbereich. Tische und Stühle haben die Campesinos dort aufgestellt, und einen Kühlschrank mit Bier und Limonade gibt es auch. Eine Gruppe älterer Männer sitzt rauchend um einen wackligen Holztisch und spielt Domino. Angesichts der Tatsache, dass der Fortbestand der Gärten zur Zeit am seidenen Faden hängt, wirkt die Ruhe geradezu absurd. Was sie denn vorhaben, wenn die Bulldozer anrollen und das Gelände geräumt wird, wo doch die meisten nicht mal legal im Land sind? "Naja...", druckst el Capitán, und die Männer am Nebentisch gucken herüber. "Wir haben uns mit einer Obdachlosenorganisation getroffen. Und wenn es hart auf hart kommt, dann werden die das Gelände besetzen." Da lacht Barrera wieder verschmitzt.